Rätselhafte Vergangenheit

Astronomen schätzen das Alter des Universums auf 20 Milliarden Jahre und sie sind dabei, dessen Entwicklung bis zurück zum "Urknall" minuziös zu berechnen. Das Alter der festen Erdkruste umfaßt gerade einmal bescheidene 4,6 Milliarden Jahre, aber nur die letzten 0,55 Milliarden Jahre haben deutbare Spuren in Form von fossilhaltigen Gesteinen hinterlassen - nur über dieses letzte Achtel der Erdgeschichte liegen einigermaßen gesicherte Erkenntnisse vor - unser Unwissen ist nach wie vor beträchtlich!

 

Das Zeitfenster der Lebensentstehung

Es gilt heute als gesichert, daß sich unter den Bedingungen der jungen Erdoberfläche in der Atmosphäre, in heißen Strandtümpeln aber auch in der Nähe ozeanischer heißer Quellen ("Black Smoker") organische Substanzen gebildet haben, die sich dann im Urozean anreicherten - der Urozean stellte somit eine Art Nährlösung dar, in dem sich Leben entwickeln konnte. Wie dies geschah herauszufinden ist Sache der Biologie und Biochemie, aber auch die Geologie stellt wichtige Erkenntnisse bereit: Nach heutiger Kenntnis besitzen die ältesten chemischen Lebensspuren ein Alter von 3,8 Milliarden Jahren, die ältesten als Organismen erkennbaren Relikte findet man in Gesteinsdünnschliffen der Gunflint-Formation - es handelt sich um winzige bakterienähnliche Einschlüsse. Das Zeitfenster für die Entstehung des Lebens ist somit recht klein (0,8 Milliarden Jahre), und es wird noch kleiner, wenn man die Zeit abzieht, während der die Erdoberfläche für die Bildung von Ozeanen noch zu heiß war. Besitzen bestimmte organische Molekülgemische eine viel größere Tendenz zur Selbstorganisation als bislang bekannt? Oder wurden reduplikationsfähige Moleküle aus dem Weltall eingeschleppt? In den Urozean verbracht, hätte ein einziges Molekül mit dem bescheidenen Molekulargewicht von 10000 nach 100 Verdopplungsschritten rein rechnerisch 20 000 t seiner selbst gebildet!

Bis heute stehen Antworten aus, aber die geringe Größe des Zeitfensters ist schon sehr rätselhaft!

 

Die "Kambrische Explosion"

Im Kambrium, das der ganz anders gearteten Ediacara-Formation folgt, treten (fast) schlagartig alle Tiergruppen, von denen man überhaupt Versteinerungen erwarten kann, in großer Formenfülle auf; viele Tiergruppen, wie z.B. die hochkomplexen Stachelhäuter, sind sogar schon am Ende ihrer Evolution angekommen. Nun sind derartige "explosive Entwicklungen" durchaus bekannt - man denke nur an die Entwicklung der Säugetiere während des Tertiärs - aber daß alle(!) Tierstämme betroffen sind, ist einmalig, und eine wirklich zufriedenstellende Erklärung fehlt noch immer. Viele Erklärungsversuche gehen von einer raschen und zugleich dramatischen Umweltveränderung aus, andere davon, daß ein für das Leben kritischer Parameter - z.B. der Sauerstoffgehalt im Ozean - überschritten wurde. Vielleicht ist die "Kambrische Explosion" aber auch nur eine Täuschung, sei es, daß plötzlich Kalzium verfügbarer wurde, so daß nun viele Organismen, die vorher einen kalkarmen Panzer besaßen und keine Versteinerungen lieferten, nun einen stark kalkhaltigen Panzer aufbauen konnten, sei es, daß vorher der Chemismus der Ozeane ein Überdauern von Kalkpanzern verhinderte. Aber auch diese Erklärungsversuche sind fragwürdig, denn niemand kann sagen, welche Umweltveränderungen sich zu Beginn des Kambriums tatsächlich abgespielt haben.

Es lohnt sich durchaus, die vielen Hypothesen zur "Kambrischen Explosion" zu studieren - das Rätsel der "Kambrischen Explosion" ist jedoch bis heute ungelöst!

 

Das Rätsel der "Faunensprünge"

Untersucht man Schichtenpakete in geschieferten Gesteinen, so findet man immer wieder "Schichtenlücken": Die obere (jüngere) Schicht enthält Fossilien, die sich von der unteren (älteren) Schicht massiv unterscheiden. Zunächst sieht dies nach Spuren einer Katastrophe aus, aber gewöhnlich findet man einige hundert Kilometer weiter ein anderes Schichtenpaket, das verbindende Schichten enthält - tatsächlich liegt gewöhnlich nur eine "Sedimentationslücke" vor: eine Flußmündung verlagert sich, einige Millionen Jahre werden keine Sedimente mehr abgelagert, dann verlagert sich die Mündung abermals und die Sedimentation beginnt erneut, nun mit ganz anderen Fossilien. Eine wichtige Aufgabe der Geologie ist es daher, lückenlose Schichtenfolgen zu rekonstruieren, und gewöhnlich gelingt dies auch; aber es gibt auch echte "Faunensprünge", die auf dramatische Umweltveränderungen schließen lassen; sie grenzen die verschiedenen Erdzeitalter voneinander ab.

Im Falle der "Kreide-Tertiär-Grenze" (KT-Grenze) ist die Ursache der Katastrophe bekannt: Ein Kleinplanet von 13 km Durchmesser war an der Küste Yukatans eingeschlagen und hinterlies einen Krater von mehreren hundert Kilometern Durchmesser, der noch heute nachweisbar ist. Die Folge waren globale Waldbrände und eine mehrjährige globale Verfinsterung, die das gesamte Ökosystem der Erde an den Rand des Unterganges brachte. Die Saurier starben aus, aber mangels Konkurenz konnten sich nun die Säugetiere weiterentwickeln und alle frei gewordenen ökologischen Nischen besetzen. Windblütige Gräser dominieren seit dem die Flora und in den Ozeanen setzten sich die Strahlenflosser durch. Aber selbst hier ist noch vieles zu erforschen, denn offenbar setzten Klimainstabilitäten und eine damit verbundene Artenreduktion schon vorher ein, beides vermutlich ausgelöst durch heftigen Vulkanismus in Indien (Dekkan-Trapps).

Es lag nahe, auch die anderen "Faunensprünge" auf diese Art zu erklären, aber die für die KT-Grenze typischen Indizien (z.B. ein relativ hoher Gehalt an Iridium im Sedimentgestein) fehlen. Gewöhnlich zieht man die Verschiebungen der Kontinentalplatten als Erklärung heran: Diese Verschiebungen sollen zu abrupten Veränderungen der Strömungen der Ozeane geführt haben, die dann wiederum massive Klimaänderungen bewirkten. Das klingt plausibel, gesichert sind diese Erklärungen jedoch nicht.

Besonders dramatisch waren die Geschehnisse an der "Perm-Trias-Grenze" (PT-Grenze) : Etwa 95% der marinen und etwa 70% der terrestrischen Tierarten starben aus.

Gewöhnlich führt man dieses Massensterben auf globale Klimaschwankungen zurück, ausgelöst durch gewaltige Vulkanausbrüche in Sibirien (Sibirian Trapps), die sich über mehr als 600000 Jahre hinzogen.

Ein anderer Erklärungsversuch geht davon aus, daß gegen Ende der sehr warmen Permzeit die kontinentalen Flachmeere sehr viel Faulschlamm enthielten, der dann, vielleicht ausgelöst durch zusätzliche Klimaschwankungen (sibirischer Vulkanismus) so viel Schwefelwasserstoff freisetzte, daß einerseits marine Tiere direkt vergiftet wurden, andererseits die Photosyntheserate global soweit abgesenkt wurde, daß Mangelernährung zum Aussterben zahlreicher terrestrischer Arten führte. Zusätzlich ist auch an ein "Abtauen" marinen Methan-Wasser-Eises zu denken, wodurch die globale Erwärmung noch weiter vorangetrieben worden wäre.

Wir führen diese Hypothese deshalb an, um zu zeigen, daß es sich bei geologischen Katastrophen nicht unbedingt um Vulkanausbrüche, Erdbeben oder Eiszeiten gehandelt haben muß. Sollte sich die zuletzt genannte Hypothese als richtig erweisen, wäre die Erde ein recht unheimlicher Ort, denn gegen eine globale Verseuchung der Atmosphäre mit Schwefelwasserstoff könnte sich die Menschheit ebensowenig schützen wie vor dem Einschlag eines Asteroiden.

Die obigen Beispiele zeigen, daß die Erdoberfläche ein recht dynamischer und oft auch gefährlicher Ort ist. Nur uns menschlichen "Eintagsfliegen" erscheint sie als Sinnbild der Stabilität. Auch wenn die Rätsel der "Faunensprünge" bis heute ungelöst sind, so zeigt sich doch, daß oft geologische Vorgänge das Rad der Evolution wieder in Schwung gebracht haben, und so sind auch wir Menschen letztlich "Kinder geologischer Katastrophen".

 

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